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Medizin und Forschung

Genschere-Therapie: Kann sie bei unheilbaren Krankheiten helfen?

  • Veröffentlicht: 21.03.2024
  • 11:15 Uhr
  • Christian Stüwe
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© Getty Images

Eine neue Methode soll bei der Therapie unheilbarer Krankheiten helfen: die Genschere-Therapie namens CRISPR/Cas. Mit ihr ist es möglich, die menschliche DNA an bestimmten Stellen aufzuschneiden. Wie die Technik funktioniert und wo sie bereits zum Einsatz kommt.

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CRISPR/Cas: Das Wichtigste in Kürze zur Genschere

  • Das CRISPR/Cas-System ist eine molekularbiologische Methode, mit der sich DNA präzise schneiden und verändern lässt.

  • Die Genschere könnte neue Behandlungsmethoden für schwere Krankheiten wie Krebs oder AIDS möglich machen. Bisher wurde sie in der Pflanzenzucht eingesetzt.

  • In Großbritannien, den USA und der EU ist eine auf CRISPR/Cas basierende Therapie für die seltenen Blutkrankheiten Sichelzell-Anämie und Beta-Thalassämie bedingt zugelassen.

  • Allerdings ist die Behandlung sehr teuer und aufwendig, mögliche Neben- und Langzeitwirkungen sind noch nicht abschließend erforscht.

Was ist die Genschere CRISPR/Cas?

Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA, ist ein Grundbaustein des Lebens. Die DNA trägt die Erb-Informationen aller Lebewesen, Fehler in der DNA können schwere Krankheiten auslösen.

Weshalb die Vorstellung, mit einer winzig kleinen, äußert präzisen Schere fehlerhafte Gene aus der DNA zu schneiden und Krankheiten auf diese Weise heilen zu können, fast zu schön klingt, um wahr zu sein. Die Genschere CRISPR/Cas verspricht jedoch genau dies - auch wenn es natürlich nicht ganz so einfach wie in der Vorstellung ist.

Abgeschaut haben sich Wissenschaftler:innen die Genschere in der Natur. Das CRISPR/Cas-System ist ein Abwehrmechanismus, den Bakterien im Laufe der Evolution entwickelt haben, um sich gegen Viren zur Wehr zu setzen. Denn Viren versuchen Bakterien zu töten, indem sie ihnen ihr Erbgut injizieren.

Die Bakterien setzen CRISPR – die Abkürzung steht für "Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats" – in Verbindung mit dem Protein Cas9 ein, um die injizierte DNA der Viren zu zerschneiden und sich so schützen.

Erstmals erforscht und beschrieben wurde das CRISPR/Cas-System bei Bakterien bereits 1987. Der Durchbruch gelang jedoch im Jahr 2011, als ein Gruppe von Forschenden um die Biochemikerinnen und Molekularbiologinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckte, dass das CRISPR/Cas-System in jedem Organismus funktioniert und sich damit präzise DNA schneiden lässt, egal ob beim Menschen, bei Tieren oder bei Pflanzen.

Prof. Emmanuelle Charpentier (l.) vom Max-Planck-Institut in Berlin und Prof. Jennifer Doudna von der University of California wurden 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.
Prof. Emmanuelle Charpentier (l.) vom Max-Planck-Institut in Berlin und Prof. Jennifer Doudna von der University of California wurden 2020 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet.© Picture Alliance / ASSOCIATED PRESS | Miho Ikeya

Für ihre 2012 veröffentliche Arbeit erhielten Charpentier und Doudna zahlreiche Preise, unter anderem den "Breakthrough Prize in Life Sciences" 2014, der für beide Wissenschaftlerinnen mit je drei Millionen Dollar dotiert war. Der Höhepunkt war jedoch zweifellos der Nobelpreis für Chemie, mit dem Charpentier und Doudna im Jahr 2020 ausgezeichnet wurden. Die Arbeit der beiden Biochemikerinnen wurde als Revolution des "Genome Editing", also der Bearbeitung von Genen, gefeiert.

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So funktioniert die Genschere

Um die Genschere zu nutzen, wird eine von Wissenschaftler:innen hergestellte kurze Gen-Sequenz im Protein Cas9 platziert. Mit der Hilfe der CRISPR-RNA, die ähnlich wie ein Immunsystem funktioniert und die Informationen über die DNA speichert, wird das Schneide-Protein Cas dann exakt dorthin gelotst, wo die Forschenden ein Gen in einer Zelle verändern wollen. Die im Cas9 platzierte Gen-Sequenz sucht nach dem passenden Gegenstück in der DNA, verbindet sich mit diesem und schneidet an genau dieser Stelle.

Zelleigene Reparatur-Systeme fügen den durchtrennten DNA-Strang danach wieder zusammen. Dies kann zufällig passieren, wobei an der Bruchstelle einzelne DNA-Bausteine entfernt oder "falsch" zusammengesetzt werden. Die Folge: Das Gen kann nicht mehr abgelesen werden. Es ist ausgeschaltet. Forschende können den DNA-Strang aber auch gezielt reparieren und dabei einen leicht veränderten oder einen ganz neuen DNA-Abschnitt einbauen.

Auf diese Weise ist die Genschere CRISPR/Cas verhältnismäßig einfach und kostengünstig einzusetzen, weshalb sie innerhalb kürzester Zeit zu einer Standardmethode in Laboren weltweit wurde. Ein Einsatzgebiet ist auch die Pflanzenzucht, wo mithilfe der Genschere der Ertrag von Nutzpflanzen gesteigert werden kann.

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Genschere-Therapie mit CRISPR/Cas: Wie wird sie eingesetzt?

Eine Entscheidung der britischen Arzneimittelbehörde MHRA sorgte im November 2023 weltweit für Schlagzeilen. Die Behörde erteilte der Gentherapie Casgevy eine bedingte Zulassung und somit erstmals einer Behandlungsmethode, die auf der CRISPR/Cas-Genschere basiert. Nach Großbritannien zog im Dezember des gleichen Jahres auch die US-Gesundheitsbehörde FDA nach, in der Europäischen Union erhielt Casgevy im Februar 2024 eine bedingte Zulassung.

Helfen soll Casgevy Menschen mit den seltenen und schlecht behandelbaren Blutkrankheiten Sichelzell-Anämie und Beta-Thalassämie. Bei den beiden genetisch bedingten Krankheiten wird der rote Blutfarbstoff Hämoglobin, der für den Sauerstofftransport in der Blutbahn des Menschen verantwortlich ist, nicht richtig gebildet. 

Hier setzt die Casgevy-Behandlung an, die auch als Exa-cel-Therapie bekannt ist. Den Patientinnen und Patienten wird zunächst Blut entnommen, das dann mit dem mit der CRISPR/Cas-Genschere erzeugten Präparat behandelt wird. Im Blut der erkrankten Personen wird dabei ein Gen aktiviert, das eigentlich nur bei ungeborenen Kindern aktiv ist.

Anschließend wird das behandelte Blut den Patientinnen und Patienten wieder injiziert, das aktivierte Gen produziert im Körper eine fetale Hämoglobin-Variante, die die defekten und deformierten Blutkörperchen ersetzt, damit wieder ausreichend Sauerstoff im Blut transportiert werden kann. Seit 2019 wurden mit dieser Methode bereits einige Patientinnen und Patienten von der zuvor als unheilbar geltenden Sichelzell-Anämie geheilt.

Das Modell eines DNA-Strangs.
Das Modell eines DNA-Strangs.© Picture Alliance / Zoonar | Luis Moreira
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Was sind die Nachteile und Nebenwirkungen der CRISPR/Cas-Therapie?

Mit der Entnahme des Blutes und der Behandlung der Stammzellen außerhalb des Körpers ist es allerdings nicht getan. Um die Casgevy-Behandlung durchführen zu können, müssen sich die Patientinnen und Patienten zunächst einer hoch dosierten Chemotherapie mit allen bekannten schweren Nebenwirkungen unterziehen. Mithilfe der Chemotherapie wird das Knochenmark der Patientinnen und Patienten von den bisherigen erkrankten Stammzellen bereinigt.

Da die Therapie noch neu ist, wird sich erst in den in nächsten Jahren und Jahrzehnten zeigen, wie die Lebenserwartung der veränderten Zellen ist und wie lange der Behandlungserfolg somit anhält.

Ein weiterer negativer Faktor sind die enormen Kosten. Eine Casgevy-Therapie wird mit rund 2,2 Millionen Dollar für die Behandlung eines einzigen erkrankten Menschen veranschlagt.

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Die Zukunft von CRISPR/Cas: Wo könnte die Genschere noch zum Einsatz kommen?

Trotz der großen Erfolge steht die Nutzung der Genschere CRISPR/Cas noch am Anfang. Tausende bislang als unheilbar geltende Erbkrankheiten könnten in der Zukunft heilbar werden, Tiere und Pflanzen könnten ebenfalls vor Krankheiten und Schädlingsbefall geschützt und optimiert werden.

Schon bald dürfte eine Therapie gegen Hyper-Cholesterinämie auf den Markt kommen, eine Erbkrankheit bei der der Körper Cholesterin nicht richtig abbauen kann, weshalb die Patientinnen und Patienten ein stark erhöhtes Herzinfarkt-Risiko haben. Neue, effektivere und schonende Behandlungen von Krankheiten wie Krebs oder HIV werden in Zukunft möglich sein, teilweise wird von einer neuen Ära der Medizin gesprochen.

Allerdings gibt es auch große Bedenken. CRISPR/Cas greift bei Menschen, Tieren und Pflanzen in das Erbgut im Zellkern ein. Pflanzen beispielsweise an den Klimawandel anzupassen, bietet einerseits enorme Möglichkeiten und Chancen, gleichzeitig wird aber auch intensiv darüber diskutiert, ob der Mensch auf diese Art und Weise "Gott spielen" sollte. 

CRISPR/Cas ist ein so mächtiges molekularbiologisches Werkzeug, das der Einsatz gut abgewogen werden muss. In China wurde bereits 2019 der Forscher He Jiankui zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er mit der Genschere gezielt Veränderungen am Erbgut von Embryonen vorgenommen hatte, um diese resistent gegen HIV zu machen. 

FAQ: Die wichtigsten Fragen zu CRISPR/Cas

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