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Kettcar singen in "München" gegen Alltagsrassismus und rechte Gewalt

  • Veröffentlicht: 26.01.2024
  • 17:57 Uhr
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© Grand Hotel van Cleef

Das Wichtigste in Kürze

  • Lieder gegen Rassismus kann es nicht genug geben. Aber nicht alles, was gut gemeint ist, ist am Ende auch gut. Das trifft ausdrücklich NICHT auf die neue Single der Hamburger Band Kettcar zu. "München" ist eine ergreifende Geschichte mit Haltung, die nicht besser in die heutige Zeit passen könnte – und ein fantastischer Song zwischen Post-Punk und Indie.

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Die 2001 in Hamburg gegründete Band Kettcar ist nicht weniger als eine Instanz in Sachen deutschsprachiger Musik mit Haltung. Obwohl die Band selbst bei dieser Beschreibung sicherlich abwinken würde. Aber es stimmt nun mal: Sänger und Gitarrist Marcus Wiebusch hat schon mit seiner vorherigen Band …But Alive gezeigt, wie hintersinnig und clever deutscher Punk klingen kann. Mit seinen neuen Bandkollegen Erik Langer (Gitarre, Gesang), Reimer Bustorff (Bass, Gesang), Lars Wiebusch (Keyboard, Gesang) und seit 2010 Christian Hake (Drums) hat er dann als Kettcar deutschsprachigen Indie-Rock auf ein ganz eigenes Level gebracht. Songs wie "Landungsbrücken raus", "Deiche", "Balu" oder das hochpolitische "Sommer `89 (Er schnitt Löcher in den Zaun)" über einen DDR-Fluchthelfer sollte wirklich jede(r) mal gehört haben.

Mit "München" kam kürzlich die erste Single aus dem neuen Album "Gute Laune ungerecht verteilt", das am 5. April erscheinen wird. Wenn eine Hamburger Band über die Hauptstadt Bayerns singt, kann man schon davon ausgehen, dass es keine Hymne auf diese Stadt werden wird. Aber "München" ist auch kein hohles Städte-Bashing, sondern eine ebenso persönliche wie politische Geschichten über Alltagsrassismus und Fremdenfeindlichkeit. Als Feature-Gast ist auf dem für Kettcar-Verhältnisse sehr düster und post-punkig klingenden Song Chris Hell von der Post-Hardcore-Band FJØRT zu hören.

In dem von Reimer Bustorff geschriebenen Text geht es wie so oft bei Kettcar um das Politische im Privaten. Das Lied erzählt von einer Männerfreundschaft, die schon zu Schulzeiten beginnt. Der Kumpel des Erzählers heißt Yachi und hat einen deutsch-türkischen Familien-Background. Rassismus im Alltag erfährt Yachi von Anfang an – auch in der Familie des Ich-Erzählers. "Er kam zum Essen, meine Mutter fragte: / 'Darf ich einmal dein schönes schwarzes Haar anfassen?' / Du hast sie gelassen, etwas verkrampft gelächelt / Gegessen und dich höflich bedankt." Bassist und Texter Reimer erklärt: "Diesen Yachi aus dem Text gibt es wirklich. Wir haben zusammen Fußball gespielt, seine Eltern kamen aus der Türkei. "Der hat das damals in den Achtzigern schon so erlebt – und ich will mal behaupten, seitdem hat sich nichts zum Guten verändert."

Die einzelnen Strophen beschreiben weitere Szenen dieser Art: rassistische Beleidigungen am Kiosk, eine Bar, die Yachi nicht reinlässt, ein Vermieter, der in langsamer Babysprache spricht, obwohl Yachi fließendes Deutsch mit bayerischem Zungenschlag spricht. An einer Stelle heißt es: "Ich sagte: 'Scheiß auf den Laden! Wenn sie dich hier nicht reinlassen wollen sie mich auch nicht haben.' / Wir gingen zu mir, saßen am Fenster, lachten und tranken ein Bier / Ich guckte dich an und sagte: 'Wir sind uns so ähnlich, wir sind uns so gleich' / Und du sagtest zu mir: 'Ja, das sind wir – aber wir sind es nicht hier!'"

Der Refrain spielt dann sozusagen den Rassismus-Evergreen – die in Deutschland selten nett gemeinte Frage: "Wo bist du eigentlich hergekommen?" Yachi dürfte ein Kind der Gastarbeiter-Generation sein: Also der Sohn einer Familie, die in Deutschland härter gearbeitet hat als viele, die heute rechts wählen. Er ist deutscher Staatsbürger, Münchner durch und durch. Im Song heißt die Antwort auf die Frage, wo er hergekommen ist, wütend: "Wo ich geboren bin? Wo ich geboren bin? / Sie fragen, wo ich geboren bin? / Ich sag’, ich bin geboren in München-Harlaching / München, alte Lady / Mein Herz ist ein totgeschlagenes Robbenbaby."

Bei Dialogen wie diesem – die Menschen, deren Familie irgendwann mal eingewandert ist, ständig erleben – muss man zwangsläufig an die aktuelle Nachrichtenlage denken. Genauer: An die bei CORRECTIV veröffentlichte Reportage über den "Geheimplan gegen Deutschland", wo letzten Herbst im privaten Rahmen in einer Potsdamer Villa in rechten Kreisen laut darüber nachgedacht wurde, wie man Menschen wie Yachi und seiner Familie die deutsche Staatsbürgerschaft aberkennen könnte. Ein Vorhaben, das nicht nur zutiefst rassistisch ist, sondern auch gegen das Grundgesetz verstoßen würde. Nicht nur deshalb ist "München" ein ebenso wichtiger, wie wahrer Song – und der perfekte Soundtrack, um sich auf die nächste Demo gegen die AfD einzustimmen …

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