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Russlands Corona-Impfstoff: Warum er kritisiert wird - und wer ihn schon bestellen will

  • Veröffentlicht: 17.09.2020
  • 13:25 Uhr
  • Franziska Schosser
Article Image Media
© imago images / Russian Look

Präsident Putin verkündet stolz: Als erstes Land überhaupt bringt Russland einen Corona-Impfstoff auf den Markt. Weltweit kritisieren Wissenschaftler die Zulassung des Medikaments, das bisher nur an wenigen Menschen getestet wurde. Zugleich haben erste Länder Interesse an dem Stoff bekundet.

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Das Wichtigste zum Thema Russlands Corona-Impfstoff

  • Im weltweiten Rennen um einen Corona-Impfstoff scheint Russland den erste Etappen-Sieg geschafft zu haben: ein staatlich zugelassener Impfstoff gegen den Covid-19-Virus.

  • Dafür hat das russische Entwickler-Team aber eine Abkürzung genommen und die letzte Phase III der Impfstoff-Entwicklung übersprungen. Die läuft aktuell in Russland unabhängig von der Zulassung.

  • Der Stoff wurde insgesamt nur an wenigen Menschen getestet - Soldaten hatten sich dafür freiwillig gemeldet. Weniger als 2 Monate dauerte diese Testphase.

  • Der Impfstoff, ursprünglich Gam-COVID-Vac Lyo genannt, erhielt einen geschichtsträchtigen - und propagandawirksamen - Namen: "Sputnik V". 1957 schickten die Russen den ersten Satelliten (Sputnik I) in die Umlaufbahn - der Beginn der Raumfahrt.

  • Die Zulassung von "Sputnik V" widerspricht internationalen Kriterien. Die WHO stellt klar: "Jeder Impfstoff muss natürlich alle Versuchsreihen und Tests durchlaufen, bevor er genehmigt und ausgeliefert wird." Das war in Russland nicht der Fall.

  • Trotzdem soll bereits im August und September mit den Impfungen begonnen werden. Eine der beiden Töchter von Putin habe den Impfstoff bereits erhalten.

  • Aktuell gibt es in Russland rund 5.000 Neu-Infektionen pro Tag.

  • Während manche Länder schon Interesse angemeldet haben, pocht die WHO gegenüber der Deutschen Presseagentur auf die Einhaltung bewährter Entwicklungsschritte. Nur so könne man sicherstellen, dass ein Impfstoff sicher und effektiv ist.

  • Neue Zweifel: In einem offenen Brief beklagen Wissenschaftler aus aller Welt nun etliche Unstimmigkeiten zu Russlands Impfstoff. Welche das sind, erfährst du weiter unten.

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#1: Was ist das für ein Impfstoff? 💉

Das staatliche Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau entwickelte den russischen Corona-Impfstoff. Das Medikament mit dem Namen Gam-COVID-Vac Lyo wurde vom Gesundheitsministerium offiziell freigegeben.

Es handelt sich um ein sogenannten Vektor-Impfstoff. Grundlage sind für den Menschen harmlose Träger-Viren, denen Erbinformationen des Corona-Virus zugesetzt werden. Sie enthalten sozusagen die Baupläne des "echten" Corona-Virus.

So wird dem Körper eine Covid-19-Infektion vorgetäuscht. Der reagiert und bildet Antikörper, die vor einer erneuten Infektion schützen.

Der erste offiziell zugelassene Corona-Impfstoff: das russische Gam-COVID-Vac Lyo.
Der erste offiziell zugelassene Corona-Impfstoff: das russische Gam-COVID-Vac Lyo.© imago images / Fotoarena

Das Gamaleja-Institut soll den Impfstoff zusammen mit der Firma Winnopharm produzieren.

Welche anderen Impfstoff-Arten es gibt, erfährst du hier. 

#2: Wird ein Corona-Impfstoff in Deutschland jetzt früher zugelassen?

❌ Wohl kaum. In Deutschland muss er vorher Phase III der Entwicklung durchlaufen haben. Heißt: Ein Test mit mehreren tausend bis zehntausend Probanden, der mehrere Monate dauert.

☝ Für die Entwicklung von Impfstoffen gibt es klare Richtlinien - zum Schutz der Patienten.

📅 Weltweit arbeiten über 170 Projekte an einem Impfstoff gegen den Covid-19-Virus. Die meisten Experten rechnen frühestens mit einer Zulassung Anfang 2021.

👨‍⚕️ Laut Klaus Cichutek, Präsident des deutschen Paul-Ehrlich-Instituts, könnte es auch schon Ende dieses Jahres so weit sein. Das Institut ist in Deutschland für die Zulassung von Impfstoffen verantwortlich.

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Corona-Impfstoff: Warum die Entwicklung Zeit braucht

Damit ein Impfstoff nicht nur wirkt, sondern auch sicher ist, braucht es eine Weile. Warum das so ist, erfährst du im Clip.

  • Video
  • 01:48 Min
  • Ab 16

#3: Kann man den russischen Impfstoff auch in Deutschland bekommen? 🛍

Das ist vorerst noch unklar. Laut russischem Gesundheitsministerium sei es geplant, den Impfstoff auch ins Ausland zu exportieren.

Mehr als 20 Länder, wie Israel oder Brasilien, haben bereits Interesse an dem neuen Impfstoff bekundet, berichten russische Medien. Nicht so das deutsche Gesundheitsministerium.

Der Grund für die Zurückhaltung: Bevor ein Impfstoff die letzte Phase der Entwicklung nicht durchlaufen hat, wird er in Deutschland vom Paul-Ehrlich-Institut nicht zugelassen.

Auch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) lässt nur Stoffe zu, die klinisch auf ihre Wirksamkeit und Sicherheit hin überprüft wurden und alle Test-Phasen durchlaufen haben.

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#4: Wie zuverlässig ist der russische Impfstoff? 🤝

Schwer zu sagen. Denn die wissenschaftlichen Daten der ersten Tests zum neuen Impfstoff wurden bisher nicht veröffentlicht. Das aber wäre die Voraussetzung für eine unabhängige Bewertung durch andere Wissenschaftler.

Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, kritisiert in den "Tagesthemen": "Man muss statistisch signifikante Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten erheben. Das scheint bei diesem Impfstoff nicht erfolgt zu sein."

Zu Risiken und Nebenwirkungen: Ob der Impfstoff zuverlässig gegen Covid-19-Viren schützt, welche Nebenwirkungen er hat und wie lange die Immunität anhält, ist noch nicht geklärt. Der Präsident der Bundesärztekammer bezeichnet das Ganze als "hochriskantes Experiment am Menschen".

#5: Was kritisieren die Experten? 👨‍🔬

Es gibt gute Gründe dafür, dass neuartige Impfstoffe mehrere Test-Phasen durchlaufen müssen. Dieses schrittweise Vorgehen dient in erster Linie dem Schutz der Patienten.

Erst, wenn ein neuer Stoff an einer großen Stichprobe getestet wurde (Phase III), kann abgeschätzt werden, welche Nebenwirkungen wie häufig auftreten, ob und unter welchen Bedingungen ein Impfstoff wirksam ist. Klare Richtlinien gibt es dazu etwa von der WHO.

Noch ist gar nicht veröffentlicht, wie Tausende Probanden in Phase III auf den russischen Corona-Impfstoff reagieren. Dennoch gibt es schon jetzt zahlreiche Zweifel an den Daten.

Zwar haben Wissenschaftler des staatlichen Forschungszentrums in Moskau Anfang September im renommierten Fachmagazin The Lancet dargelegt, wie ihr Impfstoff wirken soll, die Glaubwürdigkeit steigt aber erst, wenn Versuche und Befunde von anderen Arbeitsgruppen wiederholt und bestätigt werden können. Und genau daran hapert es aktuell: Der italienische Molekularbiologe Enrico Bucci hat einen offenen Brief an die russischen Forscher geschrieben, in dem er die Veröffentlichung kritisiert. 38 Wissenschaftler aus aller Welt haben den Brief unterzeichnet.

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Das sind die neuen Zweifel am russischem Corona-Impfstoff

❓ Gleiche Konzentration der Antikörper bei mehreren Probanden

Nach der Impfung bei mehreren Probanden wird die Konzentration der Antikörper als identisch angegeben. Das sei Experten zufolge extrem unwahrscheinlich, da es sich um unterschiedliche Probanden und Messungen handele.

❓ Undurchsichtige Vorgehensweise

Weder die Auswahl der Vergleichsgruppen noch der Zeitpunkt der Blutuntersuchung nach der Impfung und der Auffrischung sei klar.

❓ Angaben zu den Probanden fehlen

Diese seien von Bedeutung für die Interpretation der Ergebnisse.

Bucci wirft den Entwicklern des russischen Impfstoffs zwar keine Fälschung vor, verlangt aber eine transparente Angabe dazu, wie die identischen Daten zustande kommen.

Vom Labor in die Apotheke: Diese Phasen durchläuft ein Impfstoff

  • Genaue Untersuchung des Krankheitserregers: Wie ist er aufgebaut? Was bewirkt er in unserem Körper?
  • Design des viralen oder bakteriellen Materials: Was vom Krankheitserreger eignet sich am besten? Welche Zusatzstoffe sind nötig, damit die Impfung wirkt?
  • Vorklinische Phase mit Tierversuchen: Wie wirksam und verträglich ist der Impfstoff bei Tieren?
  • Klinische Phase mit Versuchen an Menschen: Wie verträglich und sicher ist der Impfstoff bei Menschen? Gibt es Nebenwirkungen? Wie wirksam ist der Impfstoff? Welche Dosis ist nötig?
    • Phase I - kleine Gruppe Freiwilliger
    • Phase II - mehrere tausend Menschen
    • Phase III - bis zu 20.000 Menschen
  • Phase I - kleine Gruppe Freiwilliger
  • Phase II - mehrere tausend Menschen
  • Phase III - bis zu 20.000 Menschen
  • Zulassungsverfahren bei der europäischen Zulassungsbehörde (EMA) und dem deutschen Paul-Ehrlich-Institut (PEI).
  • Massenproduktion und Impfung.
  • Ist der Impfstoff auf dem Markt, müssen Ärzte Komplikationen melden. Wenn sich die häufen, wird dem Impfstoff die Zulassung entzogen.
  • Phase I - kleine Gruppe Freiwilliger
  • Phase II - mehrere tausend Menschen
  • Phase III - bis zu 20.000 Menschen

Mögliche Wege, die den Prozess beschleunigen: Mehrere Studien können in der klinischen Phase parallel laufen. Außerdem können Impfstoffe nach der klinischen Phase ohne Zulassung genutzt werden oder Teile der Entwicklungs-Phasen übersprungen werden.

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